Despoten gehen immer unter

Leserbrief im St. Galler Tagblatt vom 5. März 2022

Jeder Mensch, der ein Minimum von ethischen Prinzipien besitzt, ist betroffen von den Ereignissen im Osten Europas. Dass nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und den Ereignissen davor, bewaffneter Panzerkrieg auf europäischen Boden eine Option ist, lässt nicht nur mich zweifeln an der geistigen Entwicklung des Menschen. Als Kind der ausgehenden 60er Jahre habe ich in meiner Ausbildung zig Vorlesungsreihen und Seminare zu Ethik, gewaltfreier Kommunikation, gerechter Sprache und Diversität genossen, nur um in der Mitte meines Lebens zu erfahren, dass die Kulturschicht in unserem menschlichen Gehirn dünner ist als Papier und es wenig braucht, bis das Reptiliengehirn unserer Vorfahren im Nu überhandnimmt und unser Verhalten steuert. Ich finde mich in einem Zeitalter wieder, wo von alledem, was einst gelehrt wurde nichts mehr da ist. Aufrüstung in Europa ist zur vernünftigen Entscheidung geworden und Krieg zu einer realen Option. Was haben die Kriegsherren für ein Ziel? Die Geschichte lehrt uns über Jahrtausende, dass Despoten und ihr Machtapparat früher oder später immer untergehen. Für den Kremlchef und seinen intellektuell sehr bescheidenen Knecht in Minsk gilt das ebenso, wie für die braunen Führer der 30-er und 40-er Jahre in Europa. Weder Sicherheitsinteressen, Pufferzonen und die strategischen Fehler des Westens noch Menschenrechtsverletzungen in der Ostukraine der vergangenen Jahre lassen diesen Krieg rechtfertigen. Dem Kremel geht es nicht um die Wiederherstellung von Gerechtigkeit, sondern einzig und allein um verletzten Stolz, Machteinfluss und persönliche Ressentiments des Herrn Putin.

Das einzig «Tröstliche» ist: unabhängig, welchen Verlauf dieser Krieg nehmen wird; es gibt ein Danach und in diesem Danach werden die jetzigen Kriegstreiber auf der Weltbühne keinen Platz mehr haben. Herr Putin hat jetzt schon verloren. Kein Rechtsstaat wird ihm jemals noch den Roten Teppich ausrollen. Und mit Putin werden auch jene kleineren und grösseren Despoten ihren Einfluss verlieren, die sich im Schatten von Moskau an der Macht halten konnten.

Ob in Ankara, Damaskus, Pjöngjang, Minsk und Moskau: das 21. Jahrhundert hat tatsächlich Machtführer hervorgebracht, die sich als irdische Gottheiten verstehen. Unantastbar und über allen moralischen Regeln stehend. Ihnen fehlt die moralische Verantwortung gegenüber einer göttlichen Kraft, die das Leben schenkt.

A Pros Pos «göttliche Kraft»: während wir erleben, wohin die fehlende Verantwortung gegenüber einer übergeordneten Instanz führt, wollen die Ausserrhoder das Göttliche aus der Verfassung kippen. Vielleicht täten wir gut daran, uns ernsthaft zu überlegen, ob in der Zukunft in unserem Kanton der Mensch und die Gesellschaft allein zur absoluten Verantwortungsinstanz erkoren werden soll.

Stefan Staub, Pfarreileiter
Kath. Pfarrei Teufen-Bühler-Stein