Michael bei seiner gefährlichen Arbeit im Donbass (Juni 2022)

In einer anderen Welt

Der Sommer ist in seiner Hochform. Ich sitze bei Kaffee und Früchtekuchen im Garten. Gerade hat mich Michael besucht. Er gehört zu einen der führenden Personen, welche die 120 ukrainischen Frauen, Kinder und ältere Menschen angeführt haben, die seit März unter uns im Appenzeller Mittelland leben. Michael blieb nicht lange. Zu gross war sein Drang, in der Ukraine zu helfen. Durch einen Sponsor aus Teufen hat er einen Transportbus erhalten und fährt damit nun regelmässig auf der Strecke Schweiz-Donbass. Er kauft hier und in Polen vergünstigt Lebensmittel im Grosshandel und Medikamente ein, die in der Ukraine nicht verfügbar sind und bringt sie in eine Art Logistikbasis in der Ostukraine. Von dort geht es – oft in der Nacht und auf unbeleuchteten Schleichwegen - hinter die Front zu den eingeschlossenen Dörfern und Städten. Dort ist ein weiteres Team besorgt, dass die Lebensmittel zur ausharrenden Bevölkerung kommen. Seine Erzählungen bei mir im schönen Pfarrhausgarten bei Kuchen und Kaffee hören sich an wie aus einer anderen Welt. Dabei sind es für ihn keine drei Tage her, als er selbst in Lisichansk mitansehen musste, wie eine Rakete rund 800 Meter vor ihm eine Brücke traf. Michael setzt sein Leben fürs Überleben anderer ein. Und mir bleibt dabei der Kuchen im Halse stecken. Ich weiss, dass ich nicht mehr tun kann, als Menschen zu motivieren, die Menschen in der Ukraine nicht zu vergessen, sei es durch Spenden, dem persönlichen Gebet oder gelebter Solidarität. Dass die Politik sich nun überlegt, den russischen Bären wieder zu zähmen durch Zugeständnisse, damit das Gas auch im Winter zu uns fliesst, fühlt sich falsch, ja gar zynisch an. Die Gerechtigkeit fordert ihren Tribut zum ersten Mal konkret auch von uns. Der Krieg (be)trifft uns alle. Das kann auch mein selbstgebackener Kuchen und das schöne Sommerwetter nicht wegzaubern.