Innerlich reifen in Zeiten der Verunsicherung

Die abnormale Normalität
«Sollen wir die Erstkommunion feiern oder nicht?» – Bald jede Woche stelle ich meinen Kolleginnen und Kollegen die ähnliche Frage: Die Durchführbarkeit von besonderen, lang geplanten Anlässen wird zur ständigen Frage, die an den Nerven zehrt. Schliesslich geht es bei Feldgottesdiensten, Erstkommunionfeiern, Bettagswallfahrt, Firmung und Co. nicht nur um den Gottesdienst allein, sondern um die vielen Nebenschauplätze im Hintergrund: reservierte Restaurants, Busfahrpläne, bestellte Bratwürste... Hinter unseren Entscheidungen stehen immer auch Menschen, Finanzen – für die Katz produzierte Lebensmittel. Und doch: Wir sind gebunden – und das zurecht – an die Bestimmungen der Kantone und des Bundes. Seit März hat sich unsere bis anhin sorglose «Party»-Gesellschaft verändert. Viele sind verunsichert, haben gar Angst um ihre Existenz. Das Gefühl der Planungsunsicherheit legt sich wie ein Nebel über unsere Familienfeste, Geschäftsausflüge und auch über unsere Pfarreianlässe. Wir müssen damit leben. Was gibt unseren Herzen noch Sicherheit, die wir gerade jetzt besonders brauchen? Für mich persönlich ist es das Vertrauen, gehalten zu sein. Einerseits von meinen Nächsten und andererseits von Gott. Wenn wir den Worten Jesu nur annähernd trauen, dann sitzt er ebenso im Boot wie wir. Mit Glauben im Lebensgepäck sind wir gewiss nicht die Sorgen los. Aber da ist jemand, an den ich mich halten kann, weil er selbst durch solche Zeiten und noch viel schlimmere hindurchgegangen ist – er, der von sich sagt, mein Bruder zu sein: Jesus von Nazareth. Nicht immer sehe oder spüre ich ihn. Aber dann und wann ganz stark, als ob er mit Haut und Haaren da ist. Zum Beispiel, wenn ich in den Alpstein blicke oder mich in eine leere Kirche zurückziehe und das Gefühl von Gelassenheit und Ruhe in mir wächst. Ich glaube, dass wir seit März nicht nur «verloren» haben. Wir werden auch an dieser abnormalen Normalität reifen …

Stefan Staub, Pfarreileiter